Beschwerde beim Presserat gegen DIE ZEIT

Einseitiger und schlecht recherchierter Artikel lässt journalistische Sorgfalt vermissen

Ein Beitrag der Redaktion faireMedien.de

Das katholische Bistum Münster und der katholische Frauenorden der Clemensschwestern in Münster haben gegen einen Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“ Beschwerde beim Deutschen Presserat eingelegt. Der Bericht über eine ehemalige Angehörige des Ordens sei nach Ansicht der Beschwerdeführer „völlig einseitig und schlecht recherchiert“, so das Bistum Münster in einer auf der Facebook-Seite des Bistums veröffentlichten Stellungnahme.

Grund der Beschwerde ist ein Artikel der Journalistin Andrea Jeska, freie Mitarbeiterin der „ZEIT“, vom 10. April 2014 (Ausgabe 16/2014). Darin berichtet Jeska über die Tätigkeit der Ordensfrau Schwester Milgitha (bürgerlicher Name: Paula Kösser) in Ruanda und über einen Konflikt mit ihrem Orden, der schließlich zu ihrem Ausschluss führte.

Laut «Zeit» rettete die inzwischen 79-Jährige während des Völkermords in Ruanda vor 20 Jahren mehr als hundert Waisenkindern das Leben. Paula Kösser leitete mehrere Jahrzehnte ein von ihr gegründetes Gesundheitszentrum in Kaduha/Ruanda. Gegen ihren Willen habe sie aber die Leitung des Zentrums abgeben müssen. Für den Fall, dass sie nicht nach Münster zurückkehre habe der Münsteraner Bischof Felix Genn ihr den Ausschluss aus dem Orden und den Verlust von Pensionsansprüchen angedroht. Darauf habe Paula Kösser vor Ablauf der gesetzten Frist selbst um Entlassung aus dem Orden gebeten und wohne jetzt in Kigali.

Das Bistum Münster veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite auch Auszüge eines Briefs der Ordensoberen und Vorgesetzten von Paula Kösser, Schwester Charlotte Schulze Bertelsbeck. Dieser Brief lag der „Zeit“-Mitarbeiterin bereits im Januar vor – etwa drei Monate vor Veröffentlichung des Artikels. Schwester Charlotte Schulze Bertelsbeck würdigt in diesem Schreiben die Verdienste der ehemaligen Ordensfrau, macht diese aber auch für die Eskalation der Situation verantwortlich. So habe das ruandische Gesundheitsministerium schon im Jahr 2009 gefordert, bis Ende 2010 eine Nachfolge für die Leitung des Gesundheitszentrums zu finden. Die dortige Arbeit habe nicht mehr den aktuellen Standards und der in Ruanda vollzogenen Gesundheitsreform entsprochen. Eine erhebliche Verantwortung dafür habe Paula Kösser selbst getragen, da sie sich seit Jahren geweigert habe, an Treffen der Verantwortlichen für die Gesundheitszentren in Ruanda teilzunehmen. Auch haben sich zunehmend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über den Führungsstil von Paula Kösser beklagt. Sie habe beispielsweise willkürlich Gehaltskürzungen und Strafmaßnahmen verhängt.

Mangels eigenen Nachwuchses habe sich der Orden entschlossen, die Leitung des Zentrums an eine indische Ordensgemeinschaft zu übergeben. Anfangs sei auch Paula Kösser an der Übergabe beteiligt gewesen. Nachdem die indischen Schwestern aber Paula Kösser sowohl in Indien als auch bei ihrer Arbeit in Kaduha 2010 kennengelernt hätten, hätten sie eine Zusammenarbeit mit ihr aus fachlichen und persönlichen Gründen abgelehnt. Paula Kösser habe sich trotz mehrfacher Aufforderung geweigert, das Gesundheitszentrum zu verlassen und den indischen Schwestern zu übergeben. Erst unter der Androhung polizeilicher Maßnahmen habe sie das Zentrum verlassen. Im September 2010 wurde sie von Bischof Felix Genn aus dem Orden entlassen. Neben einer Nachzahlung in die Deutsche Rentenversicherung für Paula Kösser habe ihr der Orden einen Geländewagen und ein Grundstück mit Haus überlassen sowie Bekleidungs- und Wäschestücke und persönliche Utensilien überlassen.

All diese Informationen sind nicht in den „Zeit“-Artikel eingeflossen. Das Bistum Münster schreibt dazu in der Beschwerde an den Presserat: „Die Recherche zu diesem Artikel lässt jede Wahrnehmung einer journalistischen Sorgfaltspflicht vermissen. Die Autorin lässt zudem jede journalistische Distanz vermissen und macht sich völlig die Perspektive von Schwester Milgitha, Paula Kösser, zu eigen. Eine wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit – oberstes Gebot der Presse – findet nicht statt.“ Die Autorin nehme nach Ansicht des Bistums nicht wahr, dass die Wirklichkeit viel differenzierter sei, als sie sie darstelle.

„Warum hat Frau Jeska nicht bei anderen nachgefragt, die den Konflikt sicher auch beurteilen können, da sie ihn vor Ort miterlebt haben: beim Gesundheitsministerium in Kigali, bei ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten von Schwester Milgitha/Paula Kösser, bei der Polizei vor Ort, bei den indischen Schwestern, die das Zentrum nun übernommen haben?“, heißt es in der Beschwerde weiter. Zudem verletze sie mit einigen Formulierungen auch die Würde und das Ansehen der Clemensschwestern in Deutschland, so das Bistum.

„Faire Medien“ wird in diesem Fall weiter recherchieren und beobachten, wie der Presserat auf die Beschwerde reagieren wird. Wir werden Sie hier über den weiteren Verlauf der „Causa Kösser“ unterrichten.

Update: Die Anfrage von „faireMedien“ beim Deutschen Presserat hinsichtlich der Beschwerde wurde erst nach Monaten und wiederholter Nachfrage beantwortet und liegt uns jetzt vor:

Der Presserat hat den Artikel zwar nicht gerügt, stellt aber in einem uns vorliegenden Schreiben fest, dass die Autorin Hintergrundinformationen nicht „in voller Länge abgedruckt bzw. nur auf das Wesentliche reduziert“ habe und der Artikel eine „Positionierung der Autorin“ enthält. Die Ablehnung der Beschwerde begründet der Presserat zusammenfassend damit, dass der Jeska-Artikel „noch zulässig im Rahmen der Meinungsfreiheit“ sei. Alles in allem zeigt dies, dass die Ablehnung der Beschwerde durch den Presserat keineswegs eine Rechtfertigung dieses Artikels bedeutet, sondern lediglich feststellt, dass die (sehr hoch angesetzten) Kriterien eines presseethischen Verstoßes nicht erreicht wurden. Im Rahmen der Meinungsfreiheit „noch zulässig“, lässt keineswegs den Umkehrschluss zu, ein Artikel sei ausgewogen, sachlich und objektiv. Der Presserat rügt nur äußerst schwere Verstöße gegen den Pressekodex. Einseitige bzw. tendenziöse Beiträge rügt er als solche gewöhnlich nicht.

Eine grundlegende Information, dass nämlich das ruandische Gesundheitsministerium eine Abberufung von Schwester Milgitha gefordert hatte, fehlt im beanstandeten „Zeit“-Artikel von Andrea Jeska. Sie schrieb lediglich: „2009 gibt es eine Gesundheitsreform in Ruanda. Das Centre de Santé entspricht nicht mehr den Standards. Der Orden gibt dafür der Schwester die Schuld, diese habe sich stets geweigert, an Treffen der Verantwortlichen teilzunehmen.“ Die Autorin verschweigt den Lesern also, dass eine staatliche Behörde einen entscheidenden Anstoß zur Abberufung Schwester Milgithas gegeben hat, obwohl das Bistum Frau Jeska über diesen Sachverhalt informiert hatte.

Es bleibt dem Journalisten überlassen, ob er ausgewogen berichten möchte oder nicht. Das zeigt, wie notwendig die Seite www.faireMedien.de als Kontrollinstanz ist. FaireMedien wird auch weiterhin tendenziöse, einseitige oder verzerrende Presseerzeugnisse einer kritischen Prüfung zu unterziehen.


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